Glücksarchiv
Erich Fried: Leben - "Ein Beispiel"

Auch ungelebtes Leben
geht zu Ende.

Zwar vielleicht langsamer,
wie eine Batterie
in einer Taschenlampe,
die keiner benützt.

Aber das hilft nicht viel:
Wenn man
(sagen wir mal)
diese Taschenlampe
nach so - und so vielen Jahren
anknipsen will,
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn du sie aufmachst,
findest du nur deine Knochen.
Und falls du Pech hast
auch diese
schon ganz zerfressen.

Da hättest du
genauso gut
leuchten können.

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Selma, das Schaf

Es war einmal ein Schaf
das fraß jeden Morgen etwas Gras
Lehrte bis Mittags die Kinder sprechen Mäh
Machte nachmittags etwas Sport
Fraß dann wieder Gras
Plauderte abends etwas mit Frau Meier
Schlief nachts tief und fest
Gefragt, was es denn tun würde, wenn es mehr Zeit hätte, sagte es:
Ich würde bei Sonnenaufgang etwas Gras fressen
Ich würde mit den Kindern reden Mäh Mäh
Dann etwas Sport machen
Fressen
Abends würde ich gerne mit Frau Meier plaudern
Nicht zu vergessen: ein guter fester Schlaf
Und wenn Sie im Lotto gewinnen würden?
Also, ich würde viel Gras fressen... am liebsten bei Sonnenaufgang
Und viel mit den Kindern sprechen Mäh Mäh Mäh
Dann etwas Sport machen
Am Nachmittag Gras fressen
Abends würde ich gern mit Frau Meier plaudern
Dann würde ich in einen tiefen festen Schlaf fallen.

Jutta Bauer: Selma

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Rainer Maria Rilke: Vom Glück

Still für sich,
und doch für mich
blüht das kleine Veilchen.
Bringt mir Freud
im Wintersleid
für ein ganzes Weilchen.

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Ingrid Lissow: Glück

Kirschen essen,
hundert Kerne spucken.
Liebesbriefe
mit Kartoffeln drucken.

Suppenkraut zu
Loorberkränzen winden.
Kunterbunte
Kieselsteine finden.

Barfuß durch die
Regenpfützen laufen.
Dreizehnmal
am Tage Eiscrem kaufen.

Pfeil und Herzen
an die Häuser malen.
Für ein Luftschloß
keine Miete zahlen.

Um die Welt geh'n
und zurück.
Das ist Glück.

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Die Geschichte mit dem Hammer

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich. - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er "Guten Tag" sagen kann, schreit ihn unser Mann an: "Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!"

Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein

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